Insel-Methode

Hans Georg van Herste, Ende der fünfziger Jahre in Norddeutschland geboren und selbst Opfer häuslicher Gewalt, befasst sich seit 1982 mit Opfern von Kindesmissbrauch. Nach und nach wurde ihm das ganze Ausmaß dieser weit verbreiteten Straftaten bewusst. Immer wenn er der Meinung war, jetzt kann es keine Steigerung der Perversion mehr geben, suchte ihn ein Opfer auf, das noch schlimmere Übergriffe erlebt hatte.

Dabei stellte er fest, dass es Tätern sehr leicht gemacht wird. Immer wenn er in der Öffentlichkeit auf das Thema „Kindesmissbrauch“ hinwies, traf er auf eine Mauer des Schweigens. Kaum jemand wollte sich zu diesem Thema äußern. Erst als er erfuhr, dass jedes dritte Mädchen und jeder fünfte Junge betroffen sind, wurde ihm klar, warum. Wir leben mit einem Heer von Opfern und Tätern in einem Dorf, einer Stadt, in unserem Land, in unserer Welt. Die Täter schweigen aus Angst vor Entdeckung, die Opfer aus Scham oder weil sie der Ansicht sind, dass ihnen sowieso niemand Glauben schenkt.

Ein Opfer muss im Durchschnitt sieben Personen informieren, um einem Menschen zu begegnen, der ihnen glaubt. Dadurch bleiben viele Straftaten unentdeckt, da die Opfer vorher aufgeben. Wenn Oma oder Tante schon nichts davon wissen wollen, an wen soll sich ein Opfer dann noch wenden? Natürlich gibt es große Hilfsorganisationen, die mit Rat und Tat zur Seite stehen. Aber, welches achtjährige Mädchen traut sich da anzurufen?

Um den Weg von der Tat bis zur Anzeige so weit wie möglich zu verkürzen, kam van Herste auf die Idee, ein großes Informationsnetz zu errichten. Dabei trifft er sich nicht nur mit Leuten aus Presse, Funk und Fernsehen, um seine Idee publik zu machen. Er möchte alle mit einbinden. Er will Inseln schaffen. Dazu ruft er Frauen aus Stadtteilen oder Vereinen zusammen, erklärt ihnen seine Idee und lässt sie aus ihrer Mitte eine Frau wählen, die sich öffentlich gegen Kindesmissbrauch ausspricht und erklärt, dass sie als Ansprechpartnerin fungieren möchte. Diese Frau muss nicht psychologisch geschult sein. Da diese Frau natürlich auch den Opfern bekannt ist, haben alle sofort eine Vertrauensperson vor Ort, die immer ein offenes Ohr hat und ihre Informationen sofort an die richtigen Stellen weiterleiten kann. Das hilft den Opfern auf einfache Art und Weise und schreckt die Täter ab. Vielleicht kann durch diese Methode nicht allen Opfern geholfen werden, aber jeder noch so kleine Fortschritt lohnt den Aufwand. So kann eine Insel der Zuflucht nach der anderen entstehen. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass es funktioniert.